MÜNCHNER  SPAZIERGÄNGE

STAND: JANUAR 2024


DIE BORSTEI IM JAHRESVERLAUF


2019 – 2020

Die Borstei ist eine denkmal­geschützte, zwischen 1924 und 1929 erbaute Wohn­sied­lung im Stadt­vier­tel Moosach, mit dessen Bau der Un­ter­neh­mer Bernhard Borst eines seiner Ideale ver­wirk­lich­te: „So suchte ich die Wohn­frage zu lösen: Das Schöne des Ein­fa­mi­lien­hauses mit dem Praktischen einer Eta­gen­wohnung zu verbinden. Dabei wollte ich alles auf die Ent­lastung der Hausfrau und auf die Gesund­heit der Menschen abstimmen. “

Bernhard Borst (1883-1963) kam im Alter von 13 Jahren als Maurer-Lehrling nach München und be­such­te anschließend die Baugewerkschule. Nach dem Wehrdienst verdiente er sich Anerkennung als Mit­ar­beiter verschiedener Ar­chitekten. 1908 machte er sich als Architekt und Bauunternehmer selb­ständig.


Booking.com

Als Standort seines Bauunternehmens erwarb Bernhard Borst 1923 ein gro­ßes Grundstück an der Dachauer Straße mit Gleis­anschluss. Neben Werkstätten sollten dort auch Wohn­häu­ser gebaut werden. Als 1927 die Stadt den Bau von 26 Häusern genehmigte, be­schloss er, mit einem durch großzügige Gartenflächen auf­gelockerten Grundriss das ge­sam­te Gelände mit Wohnungen zu bebauen. Durch Gewölbe und Durch­fahr­ten wurden die Höfe und Wohnhäuser verbunden. So entstand die Borstei mit Zen­tral­heiz­werk und al­len sinn­vollen Einrichtungen als Siedlung für das gehobene Bürgertum.

Kastanienallee: „Hirtengott Pan“ (Ernst Laurenty)

Auch die Verwebung von Kunst und Natur waren für Bernhard Borst  von großer Bedeutung. So findet man in den Gärten zahlreiche Skulp­turen und Re­liefs sowie haushohe Fresken an einigen Ge­bäuden.

Weidenhof: „Elch“ (Heinrich Duell/ Georg Pezold)

Weil die Borstei fernab der bekannten Touristen­pfade liegt und wenig Erwähnung in den Reise­füh­rern fin­det, ent­decken nur weniger Besucher Mün­chens dieses Kleinod, das ein­malig in der Stadt ist. Auch deutsch­land­weit findet man kaum sei­nes­gleichen.

Im Garten der Ruhe

Die Borstei  besteht aus 77 aneinander gebauten Mehr­fa­mi­lien­häu­sern mit 773 Wohnungen, die sie­ben begrünte Höfe, jeweils mit un­ter­schied­licher Geo­metrie, umgürten (Kas­ta­nienallee, Garten der Ruhe, Rosengarten, Ladenhof, Weidenhof, Paul-Bürck-Garten, Verwaltungshof).

Im Garten der Ruhe

Was mich immer wieder in die Borstei   führt, sind seine zau­ber­haften Gär­ten. Ein Ruhe­pol mitten in der Groß­stadt! In der Borstei ist die Natur groß­zü­gig ein­ge­bunden: ein Teich, mehrere Brun­nen und sehr viel Grün – nur 20 Prozent der Fläche sind bebaut. „Vor 25 Jahren “, schrieb Borst, „nachdem ich schon die ersten Häuser der Borstei er­baut hatte, kam mir an einem wun­der­vol­len Mai­sonn­tag-Mor­gen im Schleiß­heimer Schloss­garten der Gedanke: Warum baut man nicht um den Garten, der den Men­schen so viel Freude, Ruhe und Ent­span­nung geben kann, Wohnungen? “

Rosenhof: „Christophorus“ (Jakob Wilhelm Fehrle)

Die maßgebliche Planung der Gärten über­nahm der renom­mier­te Land­schafts­ar­chitekt Alwin Seifert. So gibt es im Rosen­hof  zwei Fliederarten, die es sonst in München nicht gibt. Ebenso wachsen zahl­reiche weitere bota­nische Exoten in der Anlage. Dadurch und durch die Auswahl und Plat­zie­rung der Kunst­ge­gen­stän­de und der Brunnen hat jeder Garten seinen eigenen Cha­rakter bekommen.

In der Löfftsstraße

Lassen Sie den Tag ausklingen durch einen kleinen Spa­zier­gang oder Auf­ent­halt in den Gärten und be­nützen Sie die Bänke, um sich eine Stunde zu er­ho­len “, schrieb Bernhard Borst 1954 in einem Brief an seine Mieter.

Im Garten der Ruhe

Sobald man das Viertel betritt, hat man das Gefühl in einer klei­nen eigenen Welt, gar einem Dorf zu sein. Die Block­be­bau­ung aus den Zwanzi­ger­jahren sorgt dafür, dass die In­nen­höfe trotz der Nähe des Mittleren Ringes ver­gleichs­weise sehr still sind.

Im Frühling blüht es an allen Ecken

Es herrscht keine Hektik, Bänke laden zum Ver­wei­len ein, wo immer man ist, öffnen sich dem Au­ge un­ter­schiedliche Per­spek­tiven und Details. Die Gärten machen mit ihren alten Bäumen aus der Borstei eine idyllische Oase.

Bronzeskulptur „Hirsch“ (Heinrich Düll & Georg Pezold)

Die Borstei   ist eine Welt für sich, die für jeden offen steht „Bitte gehen Sie geruhsam von Garten zu Gar­ten, freuen Sie sich über Blumen und Blüten, pro­me­nieren Sie in der Kas­ta­nienallee ! “

Kastanienallee: Fresko „Apollon und die Musen “ (Heinrich Bickel)

Die Borstei  ist nicht nur ein wahres Meisterwerk der Archi­tektur, sie bildet auch den Rah­men für mehr als 60 Kunstwerke, haupt­sächlich Skulp­turen aber ebenso für Fresken. Sie ent­stan­den vom Ende der 1920er bis in die 1960er-Jahre.

Garten der Ruhe: Detail von „Die Jugend in Freud und Leid “ (Paul Bürk)

Denn das Interesse von Bernhard Borst  für die Kunst ist in der Borstei nicht zu übersehen, er ver­suchte, diese den Bewohnern der Borstei na­he­zu­brin­gen. Fresken von Paul Bürck und Heinrich Bickel, dem Fres­kenmaler des Werdenfelser Lands, überziehen mehrere Au­ßen­wän­de, Skulp­turen aus Stein oder Bronze stehen an jeder Ecke, an einigen Wänden sind Reliefs eingelassen.

Garten der Ruhe: „Der vergoldete Reiher“ (Ernst Andreas Rauch)

Der österreichische Bildhauer Ernst Andreas Rauch, der an der Akademie der Bildenden Künste in München studiert hatte, erhielt 1962 den För­der­preis  im Bereich Bildende Kunst der Lan­des­haupt­stadt München.

Rosenhof: „Der goldene Hahn“ (Ernst Andreas Rauch)

Für Interessierte: Ernst Andreas Rauch  ist auch der Erschaffer des wesentlich bekannteren Karl-Va­len­tin-Brunnen  am Münch­ner Viktualienmarkt.

ROSENGARTEN: „Zentaur und Eros“

Der an den Händen gefesselte Zentaur und der auf ihm reitende Eros ist ein Bronze-Nach­guss nach Ariteas und Papias.

Kastanienallee: „Hirtengott Pan“ (Ernst Laurenty)

Die Bronze-Skulptur „Sitzender Keiler “ vor dem Jagd- und Fi­schereimuseum  in der Neuhauser Straße ist vielen Münch­nern und Touristen bekannt. Kaum jemand weiß, sie ih­ren Ursprung in Italien hat: Dort steht das Werk des Bildhauers Pietro Tacca  auf dem Mercato Nuovo  in Florenz.

Bronzeskulptur „Sitzender Keiler “ (Martin Mayer)

Das Schwein vor dem Museum hat einen Zwilling in der Borstei, der nach dem italienischen Vorbild vom Bild­hauer Martin Mayer  geschaffen wurde. In der Borstei steht die Skulptur allerdings bereits seit den 1960er Jahren, erst 1976 steht ein Abguss davon vor dem Jagd­museum.


Neben den haus­hohen Fresken mit mytho­lo­gischen Themen wurden auch ein Ge­rä­te­schup­pen und das Müll­häus­chen von außen mit Wandma­lereien verschönert. Die Malereien stel­len Mär­chen­sze­nen dar und stam­men von Heinrich Bickel (1897-1965). Im Sommer 2012 wurden sie umfassend restauriert.

Spielplatz mit Märchenhäuschen

Sinnvollerweise befinden sich die Schuppen mit den Mär­chen­ma­le­reien in der Nähe eines Kinderspielplatzes.

Das Märchen „Die sechs Schwäne“


Die Wohnungen boten für die damalige Zeit einen hohen Komfort: Zentralheizung, fließend heißes Wasser, Telefon, Gasherde, Parkett, Bad, Wasch­becken und Bidet, beheizte Garagen, Ent­stau­bungs­räu­me zum Teppichklopfen, Ab­stell­räume für Fahrr­äder und Kinderwagen, Kin­der­spiel­plätze in den Höfen sowie eine Großwäscherei. Eine Groß­kü­che sorgte auf Wunsch für Mahlzeiten, die mit Elek­tro­wägelchen angeliefert wurden. Bis an den heu­tigen Tag stehen den Mietern Schreiner, Instal­lateure, Gärtner und weiter Handwerker zur Verfügung.

Last but not least: Nicht nur die Ästhetik ist die Stärke der Borstei. Auch für die Technik und für die praktischen Bedürfnisse der Bewohner hatte Borst gesorgt. Für die Heizungs- und Warm­was­ser­ver­sorgung bekam die Borstei das erste zen­trale Heiz­kraft­werk Deutschlands (1928). Es ist heute noch in Betrieb.

Im Ladenhof

Im Ladenhof findet man für den täglichen Bedarf ein komplettes Angebot und dazu noch kleine Hand­werks­betriebe und besondere Einzelhändler. Außerdem befindet sich hier auch ein kleines Café. Besondert entzückend das Ambiente der Au­ßen­anlage im Grünen.


Hat man das Glück, nach einem reichlichen Schneefall die Borstei zu besuchen, dann ist der Begriff „ver­zau­bert“ noch eine Untertreibung. Die Zeit scheint stehen geblieben, die Stille ist noch ausgeprägter als sonst, man steht staunend vor den weißgeschmückten Kunstwerken und wähnt sich in einem Weihnachtsmärchen.

Garten der Ruhe: Vergoldete Bronzebüste „Frühling “

Tiefster Winter


Erreichen kann man die Borstei gemütlich mit den öf­fent­lichen Verkehrs­mit­teln: Die Tram 20 und 21 fahren bis zur Halte­stelle Borstei, von der U-Bahn­station West­fried­hof  sind es nur wenige Minuten zu Fuß.


BUCHTIPP:
München – Lieblingsorte 

Ein perfekter Tag in München? Frühstücken in einem Café am Gärtnerplatz, mit Cappuccino und Butterbrezen, durchs Kunstareal spazieren, am Nachmittag im legendären Schwabing flanieren, danach in den Englischen Garten gehen, bis zum Eisbach, wo die Surfer sind, Abendessen in einen Biergarten, dann ins Theater oder zu einer Kleinkunstbühne. Diese und weitere interessante Vorschläge schägt Ihnen dieses Interessante Buch vor.


BUCHTIPP:
111 Orte in München, die man gesehen haben muß
Wussten Sie, dass Thomas Manns Braunbär zum Greifen nah in München steht, dass Michael Jackson für immer an der Isar bleibt und dass es in München neben Hellabrunn einen zweiten Zoo gibt? Haben Sie schon einmal in Fröttmaning Halluzinationen gehabt, in einer Theaterkantine einen tollen Abend verlebt oder köstlich zwischen Fresken gespeist? Dieses Buch führt selbst Münchner an Orte, die sie staunen lassen, und erzählt Geschichten, die noch niemand gehört hat. Und das gleich 111 Mal.